DPU - Wissenschaft & Kunst im Dialog

Fortsetzung auf der nächsten Seite Fortsetzung „Humanismus im Schatten der KI“ von Rüdiger Safranski Fortsetzung „Entfesseltes menschliches Denken und seine Folgen“ von Prof.in h. c. Marga B. Wagner-Pischel kranken und alten Menschen, täuschen Einfühlsamkeit vor. „Die Welt“ berichtet von einer Studie von Wissenschaftler*innen, die die größten Risiken für das Überleben der Menschheit untersucht. „Der Klimawandel rangiert weit abgeschlagen, auch der Atomkrieg belegt nur Platz 4. Die Super-Prognostiker*innen fürchten nun vor allem eine Gefahr,“ „wild gewordene KI als größtes Menschheitsrisiko“.4 Im ARD-Magazin „Plusminus“ vom 21. Juni 2023 wird berichtet, dass Cyberkriminelle das KI-Programm ChatGPT missbrauchen, um Ransomware, sogenannte Erpressersoftware herzustellen, oder um Daten auszuspionieren bzw. zu stehlen. Am Research Center for Medical Image Analysis and Artificial Intelligence (MIAAI) der DPU wird mithilfe von bildgebenden Verfahren die Früherkennung und Abschätzung von Erkrankungsrisiken unter der Leitung von Univ.-Prof.in PDin Dr.in Ramona Woitek PhD erforscht, um schöpferisch zerstörerischen Prozessen in unserem Körper entgegenzuwirken. Der Einsatz von KI an der Danube Private University hat eine ganz besondere Bedeutung in der Humanmedizin und Zahnmedizin. In einer zeitgemäßen, zukunftsorientierten Ausbildung von Ärzt*innen und Zahnärzt*innen State of the Art ist dies unabdingbar. An unserer Universität sieht man es darüber hinaus jedoch auch als eine wichtige Aufgabe an, den Studierenden durch die Einbeziehung der Kunst, Kultur und Philosophie einen weiteren Horizont zu eröffnen. Exzellente Fachkompetenz in Verbindung mit einer humanistischen Denkweise und einem klaren Wertegerüst zu einem ganzheitlichen Menschsein zu verbinden, ist das Ziel. Alles ist mit allem vernetzt. Der Mensch muss sich in das lebendige Wirken der Natur, der gesamten Schöpfung, mit Demut einfügen, sich als Teil einer Weltenseele verstehen. KI wird unser kulturell wertvolles Erbe nicht in die Vergessenheit versenken, wenn unsere humanistische Gedankenwelt von uns gelebt wird, denn schließlich ist sie vor allem auch ein Teil dessen, „was unsere Welt im Innersten zusammenhält“, um Johann Wolfgang von Goethe, Faust 1 zu zitieren.5 Trotz aller Sorge bleibt für uns die Hoffnung einer inneren geistigen Erneuerung der Gesellschaft, um damit eine menschlichere Welt zu schaffen. 1Cicero (106–43 v. Chr.) | 2Lovelock J: Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz. Beck, München 2020: 131, 141 | 3 Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Faust 1, Vers 765 | 4 Welt+, 24.07.2023 | 5 Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Faust I, Vers 382 f. Prof.in h.c. Marga B. Wagner-Pischel im Gespräch mit Dr.in Rita Knobel-Ulrich, Autorin und Filmemacherin, unter anderem für das deutsche Fernsehen Rüdiger Safranski charakterisiert den Humanismus durch die Entwicklung des Individualismus und der unmittelbaren Verantwortung des Menschen für sich selbst und dessen Kontrolle durch die Erfindung der Gewaltenteilung. Die Renaissance habe so den mächtigen Schatten Gottes auf der Beschäftigung des Menschen mit seinen Möglichkeiten und Abgründen durch das Licht der Aufklärung aufgehellt. Er stellt dar, dass diese nackte Aussetzung des Menschen in sein eigenes Licht nicht auf Dauer gesetzt sein könnte. Der Schatten durch das von Menschen erzählte Narrativ Gottes könnte durch den Schatten der von Menschen gemachten digitalen Maschinen ersetzt werden. Aber er gibt uns auch Hoffnung, dass deren ‚Künstliche Intelligenz‘ in wesentlichen Aspekten nicht der des Menschen gleich sein könne. Dann wäre der neue Schatten nicht so dicht wie der Schatten Gottes vor der Aufklärung. Gott hat die Menschen zwar nach seinem Bilde geschaffen, aber ihnen nicht seine Fähigkeiten anvertraut. Ihr Wunsch nach einem gewissen Grad an Erkenntnis musste um den Preis der Vertreibung aus dem Paradies erkauft werden – ein Schicksal, dass heute noch jeder Mensch in der Pubertät nacherlebt. Es bleibt also eine fundamentale Hierarchie erhalten, und die übergeordnete Instanz verdunkelt die nachgeordnete. Rüdiger Safranski tröstet uns in Bezug auf die Sorge vor einer neuen Verdunklung der Humanität durch die Digitalität, indem er darlegt, dass der „Künstlichen Intelligenz“ als neuer Bedrohung enge Grenzen gesetzt sind, da sie dem menschlichen Geist nicht gleichen könne. Dieser habe mit Gefühlen, Selbsterkenntnis, Unterscheidung von Phantasie und Realität, Schöpfertum, Empathie und Moral einen uneinholbaren Vorsprung und eine sichere Domäne mit menschlichen „Alleinstellungsmerkmalen“. Es wäre sehr schön, wenn diese Brandmauer standhält, aber es ist nicht sicher, dass die Differenzierung des aktuellen Zustands auch in Zukunft Gültigkeit bewahrt und menschliche von Künstlicher Intelligenz trennt. Diese Skepsis speist sich aus der Beobachtung von Strukturen und Mechanismen der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ und ihrer Ähnlichkeit mit Strukturen und Mechanismen der Natur. Ein gängiges Verständnis von KI ist, dass es sich um die Anwendung von Computer-Programmen handelt und es Algorithmen sind, die in Social Media bestimmte Inhalte aussuchen oder in Röntgenbildern pathologische Veränderungen erkennen. Bei aller Sorge um mögliche Auswirkungen von KI auf Lebensbedingungen enthält diese Aussage etwas Beruhigendes: Algorithmen sind ja eindeutige und nachvollziehbare Handlungsvorschriften, die in den Schritten eines Programms niedergelegt werden können. Damit bleiben sie überschaubar und tun nur, Der berühmte Renaissancephilosoph Pico della Mirandola war in diesem Sinne kühn genug zu behaupten, der Mensch sei ein noch unfertiges Wesen, das aber von Gott mit der Fähigkeit begabt worden sei, sich selbst zu vollenden. Wir sind das, „was wir sein wollen“, erklärte er, freilich in den Grenzen der „natürlichen Schranken“, wie er hinzufügte. Ein Halbfabrikat also, das sich erst noch fertig machen kann und soll. Und das gilt nicht nur für ein Kollektiv bei der Schaffung einer gemeinsamen Kultur, das gilt auch und vor allem für den Einzelnen. Dieser Humanismus des 16. Jahrhunderts war von vornherein auch individuell gerichtet. Aus solchem Individualismus erwuchs dann auch ein gesellschaftliches Konzept. Was bedeutet in diesem Zusammenhang Individualismus? Es bedeutet, dass es auf den Einzelnen ankommt; dass die Verschiedenheit der Menschen ein hohes Gut ist und dass es darauf ankommt, diese Verschiedenheiten zu begünstigen und zu entwickeln. Im Blick auf die Gesellschaft bedeutet das: Der Sinn von Kultur, Staat und gesellschaftlichem Leben ist nicht das kollektive Gebilde als Selbstzweck, sondern die möglichst reiche und unterschiedliche Entwicklung der Individuen, aus denen dieses sich zusammensetzt. Der Humanismus setzt also beim Einzelnen an, nicht beim Kollektiv. Aus diesem Prinzip entspringen die meisten normativen Ideen, welche die aufgeklärte europäische Moderne ausmachen: Meinungs- und Gewissensfreiheit, Toleranz, Gerechtigkeit und Recht auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Prinzip bedeutet auch, dass der/die Einzelne mit seinen/ihren Rechten zur Not auch gegen die Familie oder andere Nahverhältnisse geschützt werden muss. Der Humanismus impliziert ein helles, ein positives Menschenbild. Deshalb geriet auch der Humanist Erasmus von Rotterdam in einen Streit mit Luther, der von einer durchgehend sündigen Natur des Menschen ausging und, anders als Erasmus, den freien Willen des Menschen leugnete. Doch so positiv der Humanismus auch vom Menschen dachte, so war er doch nicht naiv. Er erkannte durchaus auch die dunklen Seiten der menschlichen Natur. Deshalb gehört zum Humanismus auch der Einfallsreichtum, sich Hilfsmittel auszudenken, um die dunklen Aspekten der menschlichen Realität einzuschränken und womöglich etwas Gutes daraus zu machen. Egoismus und Trägheit zum Beispiel sollten durch Wettbewerb und Konkurrenz zugleich angestachelt und domestiziert werden. Dieser Gedanke findet sich schon bei Immanuel Kant. Der Mensch sei zwar aus „krummem Holz“, erklärt er, aber durch Konkurrenz und Wettbewerb sei Fortschritt möglich. Wir konkurrieren uns empor – so lautet Kants humanistisch-liberales Glaubensbekenntnis. Zu dieser humanistisch-liberalen Tradition gehört als zweites der Gedanke der Gewaltenteilung, der zum ersten Mal im 18. Jahrhundert von Montesquieu explizit formuliert wurde. Auch das Prinzip der Gewaltenteilung – sicherlich eine der genialsten Erfindungen im Politischen – geht davon aus, dass der Mensch ein „krummes Holz“ ist; deshalb ist ein gesundes Misstrauen angebracht, besonders beim Umgang mit Macht. Da Macht immer missbraucht werden kann, muss sie aufgeteilt werden, im Prinzip ebenso wie zur Öffnung eines Tresors oder zur Auslösung eines Waffensystems mehrere Schlüssel, auf verschiedene Personen und Institutionen verteilt, erforderlich sind. Auch Gewaltenteilung knüpft an die Idee der Konkurrenz an, sie ist nichts anderes als geregelte Machtkonkurrenz, um zu verhindern, dass eine Macht ein Monopol erringt. Es geht dabei nicht nur um die rein politische Gewaltenteilung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist viel umfassender und bezieht sich auf die Ausbalancierung der Lebensmächte Ökonomie, Religion, Wissenschaft, Technik, Politik, Öffentlichkeit und Privatsphäre. Zwischen all diesen Bereichen gibt es Spannungen und deshalb das Erfordernis, sie auf geregelte Weise wechselseitig zu begrenzen. Verhindert werden muss jedenfalls die Allmacht eines der Bereiche. Demokratie, Liberalität, Humanismus im Schatten der KI Zauberlehrling 2.0 Hon.-Prof. (DPU) Univ.-Prof. Dr. Axel R. Pries, Prorektor für Humanmedizin der DPU und Präsident des World Health Summit Fortsetzung in der Mitte auf der nächsten Seite

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