DPU - Wissenschaft & Kunst im Dialog

Der Begriff „Evolutionary Humanism“ wurde von Julian Huxley (1887–1975), wichtiger Vertreter einer naturwissenschaftlich intendierten humanistischen Weltanschauung, in die Forschung eingeführt (Huxley 1961, 1964). Huxleys Vorstellungen vom Humanismus gründen auf einer strengen Abwendung von religiösen Weltbildern und politischen Ideologien. Auf der Grundlage von Darwins Evolutionstheorie und unter dem Eindruck zunehmend valider Erkenntnisse in den Natur- und Sozialwissenschaften kommt Huxley zu der Gewissheit, dass nur ein wissenschaftlich fundierter Humanismus die richtigen Antworten auf die existenziellen Grundlagen des Menschseins liefern kann: Diese neue Idee des Humanismus „muss sich auf den Menschen als einen Organismus konzentrieren, wenn auch einen mit einzigartigen Eigenschaften. Er muss sich an den Fakten und Ideen der Evolution orientieren und der Erkenntnis Rechnung tragen, dass der Mensch Teil eines umfassenden evolutionären Prozesses ist und nicht umhinkann, darin eine entscheidende Rolle zu spielen“ (Huxley 1961, 14; dt. Übersetzung). Urban organisierte archaische „Hochkulturen“ mit zahlreichen Attributen zivilisatorischer Errungenschaften existierten im mediterranen Raum (Mesopotamien, Ägypten, Arabien, Zypern, Kreta, Griechenland) bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. Doch erst die griechischen Stadtstaaten, die schließlich die Klassische Antike begründeten, markieren den Beginn der europäischen Kultur. Damit einher ging die Errichtung der ersten Demokratie mit Rechtssystem, Abkehr vom Aberglauben und Zuwendung zu Wissenschaft, Medizin, Kunst und Literatur. Der Ursprung der Philosophie öffnete Aristokratie und Bürgerschaft der Stadtstaaten ein Fenster, Sein und Sinn in der Welt zu hinterfragen. Das Selbstbestimmungsrecht auf ein freies Denken, Handeln und Verhalten anderen gegenüber war in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft jedoch Schicksal und nur wenigen vergönnt. Individuelle Freiheit, über religiöse und politische Institutionen hinweg zu entscheiden, bildete die Geburtsstunde des Klassischen Humanismus, wenngleich der Begriff nicht zu unterschätzende Unschärfen aufweist. Die Frage nach dem „Sinn des menschlichen Lebens“ ist nicht nur philosophisch zu verstehen. Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir? Dies beantwortet Edward O. Wilson mit biologischem Akzent unter Bezug auf die aktuelle Welt, die wir umgestalten und zerstören. „Mehr als jemals zuvor liegt die Geschichte in unserer Hand. Sind wir dabei, die Evolution zu beseitigen, indem wir einen Menschen schaffen, wie er unseren Wünschen entspricht?“ konfrontiert uns Edward O. Wilson mit der Zukunft (Wilson 2015). Allem Anschein nach beschäftigen wir uns noch viel zu wenig mit uns selbst, dem Humanum, um zu bemerken, dass wir uns derzeit „als biologisches Designobjekt“ weit vom Menschsein entfernen, eine „Bioutopie“ (Demuth 2018), die in einer Apokalypse enden könnte. In Allianz mit dem KI-Hype könnte es das „schlimmste Ereignis in der Geschichte der Menschheit werden“, sofern es nicht gelingt, die KI zu kontrollieren (Hawking 2017). Referenzen – Demuth V (2018) Der nächste Mensch. Berlin: Matthes & Seitz. – Gehlen A (1986) Der Mensch: Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 13. Aufl. Wiebelsheim: Aula Verlag. – Hawking S (2017) Lecture Web Summit: https:// www.youtube.com/watch?v=H41Zk1GrdRg. – Huxley J (Hrsg., 1961) The humanist frame. New York: Harper & Brothers Publ. – Huxley J (Hrsg., 1964) Der evolutionäre Humanismus. München: Beck – Plessner H (1928) Die Stufen des Organischen und der Mensch: Einleitung in die philosophische Anthropologie. Berlin: De Gruyter. – Scheler MF (1928) Die Stellung des Menschen im Kosmos. Nach Karl-Maria Guth (Hrsg.) Die Stellung des Menschen im Kosmos. Berlin, 2016. – Wilson EO (2015) Der Sinn des menschlichen Lebens. München: Beck. Künstlerische Intuition in der umfassenden Bedeutung kann durch Künstliche Intelligenz punktuell gestützt, keinesfalls aber ersetzt werden. Tatsächlich aber ist z. B. die musikalische Semantik derartig komplex, dass die zur Auswahl stehende Datenmenge bzw. deren sinnvolle Verknüpfung – von einer zusätzlichen Textebene wie bei Lied oder Oper ganz zu schweigen – die KI-Systeme rein technisch wohl noch längere Zeit überfordern wird. Und überdies: Welcher Nutzen, auch ökonomisch gesprochen, läge in der künstlichen Perfektionierung, der allzeit abrufbaren Reproduktion von Kunst, von Werken der Vorstellung? Einer Aktivität, die der Homo ludens zum Zeitvertreib, wohl auch zur Selbstreflexion, aber nicht zur Problemlösung erfunden hat? So könnte ich mich als musizierender Gast bequem hinter derlei Argumenten verschanzen – mein Selbstbild, meine berufliche Stellung vermeintlich nicht durch die KI gefährdet zu sehen. Doch das wäre einfältig: Selbstredend ist auch jede Kunst genauso von den vielfältigen Implikationen der um sich greifenden Veränderung betroffen, ebenso wie es die ausübenden Künstler*innen als Teil des Gemeinwesens sind. In einer Welt, die immer bereiter scheint, sich den vielen Erscheinungsformen der Künstlichen Intelligenz unterzuordnen (oder ihren wohlfeilen, perfekten Illusionen zu erliegen?), sind es aber vielleicht sogar besonders die Geistesmenschen, Künstler*innen, Philosoph*innen, Mediziner*innen des Leibes und der Seele – und wohl auch Menschen, die nahe in und mit der Natur leben! – deren Aufgabe es ist, innezuhalten und zu warnen. Die zwei oben zitierten Gedichte von Goethe verweisen direkt auf den Urgrund der Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt: Es gilt für ihn von Anfang an, einer übermächtigen, nicht selten feindlichen Natur entgegenzutreten, das Überleben für sich und die Nachkommen zu sichern, und zuletzt (!) mit der eigenen Sterblichkeit zu Rande zu kommen. In den Vorstellungen der Menschen, bald auch im Kollektiv der Stämme und Völker, sind Naturkräfte, Mythen, Muttergottheiten, ein Götterhimmel und – dauerhaft für unseren Kulturkreis prägend – der Vater-Eingott nötig, um Schutz vor Unheil, Regeln und Sinn zu gewährleisten. Begrenzt sind Lebenszeit und -raum, und doch geschieht alles innerhalb dessen. Unabweislich erhebt sich jedoch die Frage nach Darüber und Danach. Denn die bewusst erlebten Veränderungen im Laufe der Zeit, die Interaktion mit dem eigenen Umfeld und erst recht mit fremden Gruppen: All dies erzwingt Stellungnahme und Interpretation, politische und gesetzliche Organisation, und zur größeren Stabilität auch den Überbau einer Idee. Die Frage bei Goethe lautet: Woher stammt die Legitimation der Idee? Von den Menschen oder einer höheren Instanz? Und woher käme dieser Instanz Autorität zu, wenn nicht wieder vom Menschen errichtet oder jedenfalls akzeptiert? Hier setzt an verschiedenen Punkten der Geistesgeschichte die Idee des Humanismus an; ein Konzept, dem sich moderne westliche Demokratien verpflichtet fühlen und es jedenfalls behaupten. Humanismus als Ideal ist von der Frage gesellschaftlicher Herrschaft nicht zu trennen. Der Platz reicht nicht aus, um all die verschiedenen Staats- und Herrschaftsmodelle Veraltet, aufzuzählen, zwischen Tyrannis und moderner liberaler Demokratie, zwischen Gottkaisertum und nationalistisch motivierter Volksgemeinschaft. Immerhin ist zweierlei festzuhalten: erstens, dass sich autokratische, theokratische und demokratisch-individualistische Staatsmodelle in großen Zyklen abwechseln; und dass auch heute noch all die genannten politischen Systeme auf der Erden weiterhin existieren; zweitens, dass Konkurrenz und Überwältigung auch auf der Ebene staatlicher Organisation stattfinden, sodass es historisch zwangsläufig immer wieder zu blutigen Konflikten kam und kommt. Man mag religiös aufgestachelte Kämpfer*innen für fanatischer einschätzen, aber der Terror Robespierres im Namen der Vernunft oder die Exzesse der totalitären Herrschaften im 20. Jahrhundert scheinen das Gegenteil zu bezeugen; beim akuten Konflikt in der Ukraine spielen religiöse, nationale, wirtschaftlich-geopolitische und ideologische Faktoren zusammen. Übrigens bedient sich dieser letzte Krieg in noch stärkerem Maß als je zuvor just jener Technologie, die den Anlass zum Symposium gegeben hat: der Künstlichen Intelligenz. Der Cyberwar ist der Krieg der Zukunft, aktuell noch aufgeladen, aufgewogen und dennoch gebremst durch die epochemachende Erfindung der 1940er: die atomare Waffe. An dieser Stelle sei noch auf die zentrale Frage der Ballade „Der Zauberlehrling“ eingegangen. Wer beherrscht die Technologie, wem gehört sie? Wer bestimmt über den Zweck ihrer Verwendung, wer übernimmt die Verantwortung? Nur mündigen Menschen, die sich in der analogen Welt, in Denken, Fühlen und Handeln eingeübt haben, können derart machtvolle Werkzeuge anvertraut werden. Eltern, Lehrer*innen und Erzieher*innen stehen heute vor der großen Herausforderung, die jungen Menschen im richtigen Maß und Tempo mit KI bekannt zu machen: nach der Einübung in die Grundlagen von Zusammenleben und Kultur. Fortsetzung „Künstliche Intelligenz, Künstlerische Intuition, und Geo-Humanismus“ von Paul Gulda Fortsetzung in der rechten Spalte Fortsetzung in der Mitte auf der nächsten Seite Humanismus der Jugend – Altes Weltbild oder zeitgemäße Identität? Cand. med. dent. Alina Hofmann, Vorstandsvorsitzende der Fachschaft Zahnmedizin und Ass.-Prof. Dr. med. dent. Florian PfaffenederMantai MA, stellv. ärztlicher Leiter I des Zahnambulatoriums Krems der DPU Die heutige Jugend ist von einer tiefen Sorge um soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz, Menschenrechte und globale Zusammenarbeit geprägt. Viele junge Menschen setzen sich für diese Werte ein und streben nach einer gerechteren und nachhaltigeren Welt. Der moderne Humanismus kann sich dabei auf den Glauben an die Potenziale und die Autonomie des Individuums stützen, aber auch auf die Überzeugung, dass eine positive Veränderung in der Welt durch gemeinsame Anstrengungen und Zusammenarbeit erreicht werden kann. Junge Menschen engagieren sich in sozialen Bewegungen, NGOs, gemeinnützigen Organisationen und politischen Aktivitäten, um ihre humanistischen Werte in die Tat umzusetzen. Unser Ziel ist es, eine Welt zu kreieren und mitzugestalten, in der wir im Sinne der humanistischen Werte und Bestrebungen leben können und einen friedvollen Umgang mit dem Ungewissen pflegen dürfen. © Stephan Rauch

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