DPU - Wissenschaft & Kunst im Dialog

Goethes Ballade vom Zauberlehrling ist eine Warnung: Der Homo investigans, der forschende Mensch, trägt die volle Verantwortung für die Ergebnisse seiner Tätigkeit. Spielt sich der Knecht zum Herrn und Meister der Natur auf – und überschreitet er dabei einen kritischen Kipppunkt –, so sind die Folgen unabsehbar. Schlimmstenfalls wird aus einer schiefen Ebene ein unkontrollierbarer Dominoeffekt. Künstliche Intelligenz erfüllt diese Voraussetzungen. Sie besitzt das Potenzial für die Auslösung eines irreversiblen Dammbruchs. In „Novozän“ beschreibt der englische Naturphilosoph James Lovelock (1919–2022) ein mögliches Szenario: Aus KI-Systemen, so prophezeit er, wird sich selbst programmierendes und erschaffendes „künstliches intelligentes Leben“ entwickeln ‒ wohlgemerkt mit Menschen „als Eltern und Geburtshelfer“: „Diese Wesen werden bald tausend und schließlich Millionen Mal intelligenter sein als wir.“ Das „wasser- und kohlenstoffbasierte“ organische Leben erhält also Konkurrenz durch eine neue, eine „silizium- oder karbonbasierte“ elektronische Lebensform: „Wir Menschen werden die Erde zum ersten Mal mit anderen Wesen teilen, die intelligenter sind als wir.“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird sich der Begriff „Humanismus“ neu definieren müssen. Sofern es dann nicht bereits zu spät ist. Unter der Prämisse, dass die vom Menschen während der Hominisation entwickelte Kultur nach Gehlen (1986) die „zweite Natur“ des Menschen abbildet, stellen sich im Rahmen dieses Beitrags zwei essentielle Fragen. Frage 1 zielt auf den Nachweis ab, auf welcher Stufe der Phylogenese das Selbstverständnis des Menschen so weit entwickelt war, dass er darüber nachzudenken begann, was seine Rolle und Stellung in der Welt angeht. Frage 2 fokussiert auf die Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Verlauf der Menschheitsgeschichte, die schließlich die Geburt des klassischen Humanismus ermöglicht haben. Elementare und tiefgründige Überlegungen zum Wesen des Menschen stellten unsere Vorfahren vermutlich bereits seit Jahrtausenden an. Es ist mehr als naheliegend anzunehmen, dass der prähistorische Mensch nicht allein damit beschäftigt war, seine Existenz zu sichern, sondern früh rationale Vorstellungen über seine Stellung in der Natur entwickelte, die beträchtlich über Daseins- und Überlebensfragen hinausgingen (Scheler 1928, Plessner 1928). Fossile Quellen liefern Hinweise darauf, dass die Natur im Weltbild unserer Vorfahren als Umwelt und Ressource wahrgenommen wurde. Zeitzeugen und direkte Überlieferungen fehlen, indirekte Hinweise auf die Gedankenwelt unserer frühen Vorfahren sind selten. selektiven Wahrnehmung der Welt. Solange man glaubt, die Welt in Zahlen ausdrücken zu können, werden andere Sichtweisen auf die Welt kategorisch ausgeschlossen. Was die Datafizierung der Welt also unterschwellig salonfähig macht, ist die Rückkehr zu einem positivistischen Denken, wonach es nichts Bedeutsames jenseits des Messbaren geben kann. Deutlich wird, dass innerhalb der Glorifizierung von Big Data in der Medizin die zu erhebenden Daten im Grunde nahelegen, wie die Dinge zu sehen sind. Ausgeblendet wird, dass zwischen Daten und Wirklichkeit unweigerlich eine Lücke bleibt, und diese Lücke ist für eine Medizin als sozialer Praxis geradezu das Entscheidende, nämlich die Lücke der Bedeutung. Innerhalb der Medizin geht es eben nicht einfach um bloße Sachzusammenhänge, sondern es geht letzten Endes um Sinnzusammenhänge. Ohne sich dieser Zusammenhänge bewusst zu bleiben, ist kein echtes Gespräch mit Patient*innen möglich. Big Data ist Resultat und Ausdruck einer vorangegangenen Mathematisierung der Wirklichkeit, und so wichtig die Erhebung der Zahlen auch sein mag, wichtig bleibt die Anerkenntnis, dass das Wesentliche, worum es in der Medizin geht, nicht in bloßen Zahlenkategorien abgebildet werden kann. Die Medizin ist eine Brückendisziplin, die das Laborparadigma der Zahl mit dem Lebensweltparadigma der Sinnzusammenhänge miteinander in Verbindung bringen muss. Daher braucht die Zukunft der Medizin nicht einfach nur mehr Daten, sondern sie braucht mehr Daten genauso wie mehr Verständnis für die existentiellen Fragen, die das Kranksein unweigerlich aufwirft. Medizin kann eben nur dann wirklich Medizin sein, wenn sie in gekonnter Weise Evidenz mit Beziehung zusammenführt, wenn sie also in sich Sachlichkeit und Zwischenmenschlichkeit zu einer neuen Einheit verbindet. Fortsetzung „Die moderne Medizin und die Auratisierung der Zahl“ von Univ.-Prof. Dr. Giovanni Maio Bei dem von der DPU Krems einberufenen Symposium, welches um Rüdiger Safranskis zentrale Überlegungen zu Humanismus im Schatten der KI kreiste, und dessen Gedankenfrüchte in diesem Band versammelt sind, durfte auch ich, Pianist von Beruf, einen Beitrag gestalten. Aus den zahlreichen Musikwerken, die zum Vorhaben passend erscheinen konnten, hatte ich mich instinktiv und zugleich bewusst für Franz Schubert entschieden. Einerseits, weil seine Musik in Melodie und Bewegung so tief in seiner Lebenswelt wurzelt – somit auch im konkreten Ort unserer Begegnung, der österreichischen Kulturlandschaft. Der Geist weht wohl, wo er will – dem Körper ist Bodenhaftung eigen. Besonders wichtig war mir aber auch andererseits, zwei Textvertonungen Schuberts nach J. W. Goethe zu bringen, die gleichsam Eckpunkte unseres Diskurses markieren. „Prometheus“ entstand im Oktober 1819, „Grenzen der Menschheit“ im März 1821. Schon gerade der zwanzigjährige Schubert wagte sich daran, den großen Fragen, die Goethe aufwirft, in musikalisch-sinnlicher Form Gestalt und Antwort zu geben. In „Prometheus“ (gedichtet 1778, in Zeiten der Aufklärung und hereinbrechender Umwälzung!) lässt Goethe die mythologische Gestalt eine stolze Widerrede an die Götter richten. Er, Prometheus, schulde ihnen nichts: Weder Dank, noch Opfer oder auch nur Gehorsam. Er selbst habe sich herangebildet, durch Erleben in der Zeit, durch Reflexion, Arbeit und Dulden. So bilde er nun weiter ein Geschlecht, das ihm gleich sei: in Leid und Freude, im Vollgenuss des Lebens – keines Gottes achtend. „Grenzen der Menschheit“, vom nun gereiften Goethe 1813 formuliert, spricht diametral entgegen Gesetztes aus. Entstanden nach den Schrecken und Toden der Revolution und in Napoleons Kriegen, ist es die Einsicht des Menschen in seine Sterblichkeit, die ihn zur Besinnung kommen lässt. „Was unterscheidet Götter von Menschen? … Uns hebt die Welle, verschlingt die Welle, und wir versinken. Ein kleiner Ring begrenzt unser Leben.“ Die Situation, die wir so gemeinsam durchlebten – ein Mensch singt und spielt Klavier dazu, Zuhörer*innen rezipieren und empfinden mit, es kommt zu geistigem Austausch und Interaktion auf emotionaler Ebene – ist wohl eine zutiefst humane, für ein gewisses Bild von Humanismus fast idealtypisch. Derzeit jedenfalls ist nicht zu sehen, wie KI so eine Situation simulieren könnte: Dazu fehlen nahezu alle Voraussetzungen. Gewiss, elektronische Klänge gibt es schon seit 100 Jahren, Synthesizer und Sound-Datenbanken leisten Erstaunliches, Looping, Sequencing, Drumcomputer – all dies hat schon seinen Platz in der aktuellen Musikproduktion gefunden. Dennoch bliebe es wertloser Tand ohne die ordnende Hand des verantwortlich Schaffenden – und ohne das verstehende Empfinden der Hörenden. Eine Prüfung der angebotenen Software für durch KI selbst generierte Musik offenbart äußerste Dürftigkeit, teilweise glattes Versagen. Experimente mit dirigierenden Robotern sind verblüffend, zugleich aber bestürzend in ihrer mechanistischen Einfalt. Letztere bedürfen überdies zur Ausführung ihres Dirigats selbstredend der Steuerung durch eine menschliche Leitung, und zur Wiedergabe der menschlichen Orchestermusiker*innen. Ein blasender, geigender, tastenspielender oder gar singender Roboter, der diese Art von Feinmotorik in höchster Differenzierung und Geschwindigkeit besitzt, ist nicht in Sicht. Dies bleibt dem Menschen vorbehalten. Denkbar wäre natürlich ein dirigierender Roboter, welcher mit der Fülle musikalischer Daten aller Stile und Epochen programmiert wäre, der seinerseits Synthesizern musikalische Befehle erteilt. Einem Publikum von künstlich Intelligenten mag dies gefallen, wenn auch nicht gerade viel sagen … Künstliche Intelligenz, Künstlerische Intuition und Geo-Humanismus Paul Gulda, Pianist Fortsetzung in der Mitte auf der nächsten Seite Der Meister kann die Form zerbrechen Mit weiser Hand, zur rechten Zeit, Doch wehe, wenn in Flammenbächen Das glühnde Erz sich selbst befreyt! Friedrich Schiller, Lied von der Glocke (1799) Fortsetzung in der rechten Spalte „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“ Univ.-Prof. Dr. med. dent. Jens Christoph Türp MSc MA, Universitäres Zentrum für Zahnmedizin Basel (UZB), Gastdozent für Wissenschaftliches Arbeiten und Didaktik an der Danube Private University Evolutionärer Humanismus Univ.-Prof. Dr. Kurt W. Alt, Direktor des Zentrums Natur- und Kulturgeschichte des Menschen der Danube Private University

RkJQdWJsaXNoZXIy NTA3MTM=