DPU - Wissenschaft & Kunst im Dialog

wird der Mensch mit seinem Bewusstsein zu einer Art Bühne, wo die ganze Welt um ihn herum und er mitten darin seinen Auftritt hat. Das ist eine Dimension, die alles verändert. Deshalb kann der Mensch zum Beispiel auch nach dem „Sinn“ des Ganzen fragen, und er kann sogar sich selbst relativieren und zurücknehmen. Der menschliche Geist ist, drittens, dadurch charakterisiert, dass er unterscheiden kann zwischen dem Wirklichen, das ihm sinnlich begegnet, und dem nicht Wirklichen, also dem Möglichen, Phantastischen etc. Zu dieser Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit gehört auch die Zeiterfahrung: die bewusste Unterscheidung zwischen dem Gegenwärtigen als Wirklichkeit einerseits und der Vergangenheit als Nicht-mehr-Wirklichkeit und der Zukunft als Noch-nicht-Wirklichkeit. Mit unserem Geist leben wir also in mehreren Welten, im Wirklichen und Möglichen, im Gegenwärtigen, im Vergangenen und im Zukünftigen. Und seit der Geist sich die künstlichen Medien erfunden hat, kommen die virtuellen Welten noch dazu. Die Künstliche Intelligenz demgegenüber kann sich über ihre Programmierung hinaus nicht selbst überschreiten. Der menschliche Geist aber steht immer auch über den Programmen, die er sich selbst gibt. Das ist seine Souveränität. Der menschliche Geist ist, viertens, definiert durch Spontaneität, Schöpfertum und Selbstwollen. Da er nicht nach Programmierung funktioniert, sind seine Abläufe und Aktivitäten nicht zwingend, sondern haben etwas Spontanes, Überraschendes an sich, auch immer etwas Selbstgewolltes. Der Geist kann etwas von sich her anfangen und von sich her beabsichtigen. Der Geist kann deshalb von sich selbst überrascht oder auch enttäuscht werden. Er kann in einen Flow geraten oder eine Hemmung. Er kann hinreißende Werke schaffen, Schönheiten, Intensitäten, kann Göttliches oder Teuflisches in sich spüren und hervorbringen. Der Geist ist schöpferisch und auch vernichtend; er kann sogar zu sich selbst eine verneinende Stellung einnehmen. Heidegger hat ihn den „Platzhalter des Nichts“ genannt und man könnte sagen: Sollte dereinst die KI den Geist abschaffen, so würde, da die KI ja vom menschlichen Geist ersonnen wurde, die Abschaffung des Geistes ein Werk des Geistes selbst sein. Womöglich muss man dem menschlichen Geist solchen zutrauen. Vielleicht hatte Sophokles recht, als er vor zweieinhalb Jahrtausenden erklärte: „Nichts ist ungeheuerlicher als der Mensch“. Der Geist ist, fünftes, einfühlend; die KI reagiert auf die Inputs, die man ihr gibt. Die Resonanz eines Ich-Du- oder eines Ich-Wir-Verhältnisses gibt es hier nicht. Und schließlich, sechstens, gehört zum Geist die moralische Empfindlichkeit. Dabei handelt es sich um die instinktiv begründete, dann anerzogene und eingeübte sowie schließlich selbstgewählte Bindung an moralische Regeln: Menschliche Autonomie ist eben kein zwingender Verhaltensalgorithmus sondern besteht aus Akten moralischer Selbstbindung – aus Freiheit. Der menschliche Geist hat also eine moralische Dimension. Die Künstliche Intelligenz kennt, wie jede Technik, von sich her keine Moral. Man kann ihr allerdings, etwa bei den selbstfahrenden Autos, Regeln eingeben für Unfälle: primär den Fahrer schützen oder die anderen? Und die anderen in welcher Gewichtung? Die Moral steckt dann aber nicht in der KI selbst, sondern in ihrer Programmierung auf dem Hintergrund der jeweiligen moralischen Orientierung. Schon immer hat es ein Spannungsverhältnis gegeben zwischen Technik und Moral, ein Spannungsverhältnis, das sich in die Frage kleidet: Dürfen wir alles tun, was wir können? Allerdings stellt sich die Frage nur solange, wie wir gewillt oder imstande sind, die technische Entwicklung zu beherrschen. Die digitale Entwicklung stellt uns hier vor neue Herausforderungen. Die neuen Produktivkräfte scheinen die bisherigen Produktionsverhältnisse zu sprengen. Sind wir gegenüber der Technik, die wir geschaffen haben, überhaupt noch frei? Wir sollten jedenfalls nach Kräften das Schicksal von Goethes „Zauberlehrling“ vermeiden, der die Geister, die er rief, nicht mehr beherrschen kann. wird deutlich, wie evolutionäre Prägung und soziokulturelle Erfahrungen Hand in Hand gehen und zur Einzigartigkeit der kognitiven und moralischen Identität des Menschen beitragen. Prosoziales Verhalten und Kooperation bilden die Grundlage für das Empfinden von Mitgefühl, Respekt und normativen Verpflichtungen gegenüber anderen. Aus evolutionsbiologischer Sicht unterstützt dies den Wunsch des Humanismus nach einem tief verankerten positiven Kern im Menschsein. Tatsache ist, dass sich die digitale Welt auf das menschliche Verhalten auswirkt – wie wir wachsen, uns entwickeln und mit anderen interagieren. Die künstliche Intelligenz ist ein recht neuer soziokultureller Faktor in der Menschheitsgeschichte, der das Potential hat, die ontogenetische Entwicklung zu beeinflussen und langfristig neue menschliche Identitäten zu erschaffen. Eine Rückbesinnung auf die Grundgedanken des Humanismus kann dabei helfen, unsere individuelle Autonomie und moralischen Werte zu bewahren und in einem besonnenen Umgang mit der KI weiterhin für einen geistigen und gesellschaftlichen Fortschritt der Menschheit zu sorgen. Wir können nur hoffen, dass uns diese Gratwanderung gelingt. „Die Gefahr, dass Computer werden wie Menschen, ist nicht so groß wie die Gefahr, dass Menschen werden wie Computer.“ Die mahnenden Worte von Konrad Zuse, dem eigentlichen Erfinder des Computers, verdienen, neuerlich Gehör zu finden. Die rasante Entwicklung generativer Algorithmen, die Texte aufsetzen, Musik komponieren oder Bilder erzeugen, zeigt deutlich, zu welchem Grad sich Computer bereits menschlichen Fertigkeiten angenähert haben. Weniger klar erkennbar ist, Fortsetzung „Humanismus im Schatten der KI“ von Rüdiger Safranski Fortsetzung in der rechten Spalte Fortsetzung „Konkurrenz und moralische Identität – vom „Ich“ zum „Wir“ von Ass.-Prof.in Dr.in Nicole Nicklisch wie sehr die von Zuse beschriebene, sehr viel größere Gefahr digitaler Technologien die Menschheit bedroht: Wir sind dabei, uns den Computern anzugleichen. Fasziniert von der beispiellosen Steigerung der Möglichkeiten, die Künstliche Intelligenz und Robotik dem Menschen verheißen, wuchert in den Köpfen der Entwickler*innen und Vermarkter*innen digitaler Technologien das Projekt der Transformation des Menschen nach Maßgabe der von ihnen entwickelten Maschinen. Die dieses Programm voranbringende Ideologie nennt sich nicht zufällig Transhumanismus, ist es doch ihr erklärtes Ziel, den Menschen, wie wir ihn kannten, durch ein Mensch-MaschineMischwesen zu ersetzen, dessen vornehmste Eigenschaft das sein wird, was Maschinen uns Menschen in der Tat voraus haben: Unsterblichkeit. Dieser von Yuval Noah Harari in seinem Weltbestseller „Homo Deus“ identifizierte Omega- Punkt der technologischen Entwicklung sollte hellhörig machen. Denn mit dem Projekt Unsterblichkeit steht mehr auf dem Spiel als nur der Tod: Auf dem Spiel steht nicht mehr und nicht weniger als unsere Humanität. Es ist ein im europäischen Kulturraum von Dichter*innen und Denker*innen gleichermaßen beschriebenes Faktum, dass die Sterblichkeit zu den fundamentalen Grundsignaturen des Menschseins gehört. Für die griechischen Pioniere des europäischen Humanismus war das eine Selbstverständlichkeit. Wenn sie dem delphische Imperativ, Erkenne dich selbst! (Γνώθι σαυτόν), folgten, benannten sie als Wesensmerkmal des Menschen nicht zufällig dasjenige, was das damals gebräuchliche Synonym für Mensch anzeigte: Er ist brótos – ein Sterblicher. Sterblichkeit, auch das wussten die Griechen, gründet in der unhintergehbaren Leiblichkeit des Menschen. Unser Leib ist sterblich, und das Wissen um die Sterblichkeit ist jeder unserer Zellen eingeschrieben. Sterblichkeit ist deshalb mehr als das kognitive Wissen um das unausweichliche Ende. Es ist ein fundamentales „Sein zum Tode“ (Martin Heidegger), das in jedem Augenblick unserer physischen Existenz gegenwärtig ist; gänzlich ungeachtet der Frage, ob der Tod ein finales Ende oder eine Transformation bedeutet – eine Frage, die sich überhaupt nur vor dem Horizont des Sterbens stellt. So oder so: Sterblichkeit ist eine Qualität, die Maschinen oder Algorithmen grundsätzlich verschlossen bleibt. Sie können kaputt gehen oder abgeschaltet werden und auch darum wissen, aber das ist etwas grundlegend anderes als die kontinuierliche, physische Präsenz der eigenen Fragilität, die jeden Atemzug des Menschen begleitet. Das ist bedeutungsvoll, weil die Sterblichkeit bzw. das (bewusste oder unbewusste) kontinuierliche Bemühen, dem Tod auszuweichen, unser gesamtes Verhalten bestimmt. Der Philosoph und Biologe Andreas Weber hat zu zeigen vermocht, dass alle Lebewesen Memento Mori Was der Mensch jeder künstlichen Intelligenz voraus hat, ist die Sterblichkeit Dr. phil. Christoph Quarch, Philosoph, Zentrum Natur- und Kulturgeschichte des Menschen an der Danube Private University

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